Von Mischa Honeck
„Wenn wir in unserem Haus nicht aufräumen, sind wir früher oder später dem Untergang geweiht.“ Ein Satz, der auf einer von Trumps Wahlkampfveranstaltungen gefallen sein könnte. Er stammt aber aus der Feder des amerikanischen Eugenikers Lothrop Stoddard, der 1920 mit The Rising Tide of Color einen rassistischen Bestseller schrieb. Der damalige Präsident Warren Harding lobte das Buch in den höchsten Tönen. Eine hasserfüllte Bevölkerungspanik durchzieht die Hetzschrift. Den weißen Nationen der Welt, allen voran den Vereinigten Staaten von Amerika, drohe der „Volkstod“. In drastischer Sprache schildert Stoddard, wie die „Invasion“ von Millionen dunkelhäutiger Einwanderer die USA in ein besetztes Land verwandeln würde. Nur rigorose Abschottung könne das Unheil abwenden.
Welchen Erkenntnismehrwert für den fulminanten Erfolg Donald Trumps bietet ein Buch, das vor mehr als hundert Jahren verfasst wurde? Dominante Erklärungsmuster für den Aufstieg des skandalträchtigen Demagogen kreisen um die Verwerfungen der Globalisierung. Der Frust hart arbeitender Amerikaner, von Abstiegsängsten geplagt und den Eliten missachtet, hätte sich mit voller Wucht an der Wahlurne entladen. Die berühmte Aussage des Politikberaters James Carville – „It’s the economy, stupid“ – ist wieder in aller Munde. Und dennoch hinken solche Ökonomismen gewaltig. Wie Trump wetterte auch Stoddard in einer damals als krisenhaft empfundenen Globalisierung gegen angeblich minderwertige Gene und blutrünstige Invasoren. Nach 1900 nahm die Zahl der Einwanderer in den USA stark zu. Die Verflechtung des Welthandels konnte den Ersten Weltkrieg nicht verhindern, der unzählige Tote forderte. Der Spanischen Grippe – wie Covid-19 eine Pandemie weltweiten Ausmaßes – erlagen schätzungsweise 40 Millionen Menschen. Angst, Wut und Verunsicherung grassierten. Den Preis bezahlten die Schwächsten der Schwachen. Im Mai 1921 verübten aufgebrachte Weiße ein Massaker an der schwarzen Bevölkerung von Tulsa, Oklahoma. Derweil strebte der ultrarassistische und fremdenfeindliche Ku-Klux-Klan nach neuer Größe. Mit Bannern, auf denen „America First“ stand, marschierten fünf Jahre später über 25.000 Klansmänner durch Washington, DC. So sicher fühlten sie sich ihrer Sache.
Von Stoddard zu Trump verläuft gewiss keine gerade Linie. Die ideologischen Wurzeln des Trumpismus, die weit ins 20. Jahrhundert zurückreichen, erzählen allerdings von einem Rechtsruck, dem mit sozioökonomischen Analysen alleine nicht beizukommen ist. Die simple Wahrheit ist: Die Mehrheit der zur Wahl gegangenen Amerikaner stimmten nicht nur gegen Kamala Harris, sondern ganz bewusst für Donald Trump, und damit auch für ein politisches Gesamtpaket, das er wie kein Zweiter zu verkaufen weiß. Für den selbsternannten Deal-Maker enthält es erstaunlich viel radikalnationalistische Identitätspolitik. Von den zwanzig Punkten im Wahlprogramm der Republikaner beschäftigen sich gerade mal vier mit Wirtschaftsthemen. Der Rest hat es in sich. Universitäten müssen „patriotisch“ sein, queere Menschen haben wieder unsichtbar zu werden, Migration und Kriminalität werden in einem Atemzug genannt, die Justiz wird als Waffe in den Händen verschwörerischer Eliten verunglimpft, das Militär als Ort wahrer amerikanischer Stärke glorifiziert. Ein klassisch konservativer Topos, könnte man meinen. Doch der künftige Oberbefehlshaber träumt einen autokratischen Traum. Er liebäugelt damit, kritische Bürgerbewegungen notfalls mit Soldaten von der Straße zu fegen. Die Liste an Beispielen für den rechten Kulturkampf ist lang. Transfeindliche Wahlspots dominierten in den sozialen Medien. Auf Elon Musks Plattform X tummeln sich migrantenfeindliche Gräuelgeschichten. Appelle zur Inflationsbekämpfung waren so gut wie nicht zu hören.
Dies zu konstatieren ist keine Wählerbeschimpfung, sondern Teil einer nüchternen Bestandsaufnahme. Die These, Trump hätte sich an die Spitze der Arbeiter gestellt, fällt schon deshalb in sich zusammen, weil es die amerikanische Arbeiterklasse nicht gibt. Richtig ist: weiße Männer ohne Hochschulabschluss gehören zu Trumps treuesten Anhängern, und die Mischung aus Wirtschaftspopulismus und Sexismus verfing bei vielen Latino-Wählern. Wären die MAGA-Republikaner ökonomische Heilsbringer, hätte sich aber gerade eine Gruppe, deren soziale Situation in den USA immer schon besonders prekär war, an Trumps Fersen heften müssen. Schwarze Frauen, die statistisch zu den einkommensschwächsten Amerikanern zählen, stimmten jedoch zu fast neunzig Prozent für Harris. Die Arbeitslosenzahlen in der Black Community sind doppelt so hoch wie in der weißen Mehrheitsgesellschaft. Dennoch waren die meisten Afroamerikaner nicht bereit, einen Politiker zu wählen, der Millionen Menschen in Lager stecken und deportieren möchte, der behauptet, kriminelle Einwanderer würden Amerikanern die Jobs wegnehmen. Dass Schwarze Amerikaner Trumps faulen Wohlstand-versus-Bürgerrechte-Deal mehrheitlich ablehnen, hat historische Gründe. Die Schwarze Bevölkerung der Vereinigten Staaten weiß, was es bedeutet, am unteren Ende der Hierarchie zu stehen. Sie weiß, was es heißt, unter die Räder eines ominösen Volkswillens zu kommen. Ihr feines Sensorium für die Brüchigkeit der Demokratie hat sie sich über Jahrhunderte schmerzhaft erkauft, mit der Bürde erlebter Gewalt und enttäuschter Hoffnungen.
Sich keine Gedanken über die Abgründe eines reaktionären Amerikanismus machen zu müssen, ist ein Privileg, das nicht jeder für sich beanspruchen kann. Menschen, für die kein Platz im MAGA-Zelt vorgesehen ist, haben diesen Luxus nicht. Mit der ritualhaften Beschwörung von den USA als der „ältesten Demokratie der Welt“ kommen wir nicht weiter. Die Illiberalität ist der dunkle Zwilling des liberalen Amerikas. In Krisen leicht aktivierbar, zieht sie sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Landes. Trump markiert keinen Wendepunkt. Seine Wiederwahl ist Teil einer unheilvollen Tradition, die mit Globalisierungskritik und Klassenkampfrhetorik unzureichend beschrieben ist. Sie artikulierte sich in der antikommunistischen Hysterie der 1950er Jahre, im Terror des Jim-Crow-Regimes, in Stoddards xenophoben Untergangsfantasien und in der Versklavung und Vernichtung nicht-weißer Minderheiten. All das ist keine neue Erkenntnis. Es ist aber eine, die verloren gehen wird, wenn wir in Zukunft nur noch James Carville zitieren.

Prof. Dr. Mischa Honeck ist Professor für die Geschichte Großbritanniens und Nordamerikas an der Universität Kassel. Er erforscht und lehrt die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika an den Schnittstellen zwischen globaler und nationaler Geschichte. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen die vielfältigen – oft ungleichen – Wechselbeziehungen von Menschen, Ideen und Waren aus Nordamerika und anderen Teilen der Welt. Seine Publikationen erstrecken sich über zwei Jahrhunderte und schenken den Kategorien von race, Geschlecht, Ethnizität, Kindheit, Jugend und empire besondere Aufmerksamkeit.