Das Sudetendeutsche Museum im erinnerungspolitischen Spannungsfeld

von Dorothea Hausner

2020 wurde das Sudetendeutsche Museum in München eröffnet. Als Ort der Erinnerung und Begegnung soll es den Dialog zwischen der deutschen und tschechischen Erinnergungskultur fördern. In Ihrem Beitrag untersucht Dorothea Hausner, wie das Museum historische Narrative hinterfragt und die Auseinandersetzung mit der „gespaltenen Erinnerung“ neu verhandelt.

Lange Zeit dominierten nationale Narrative die Geschichtsschreibung vieler Länder; eine „gespaltene Erinnerung“. Sowohl die deutsche als auch die tschechische Geschichtsforschung hatten über ein Jahrhundert nur eine einseitige Perspektive auf die Ereignisse ab 1918 bis in die Gegenwart gezeichnet. Dies zeigt sich auch in den entsprechenden Museen und Ausstellungen. Das 2020 eröffnete Sudetendeutsche Museum soll demgegenüber ein Ort der Erinnerung und Begegnung als Ausdruck für gegenwärtige erinnerungskulturelle Annährungen zwischen Deutschen und Tschechen im Sinne einer „dialogischen Erinnerung“ nach Aleida Assmann sein. In enger Verbundenheit mit den historischen Ereignissen und Prozessen sticht das Sudetendeutsche Museum für die geschichtswissenschaftliche Forschung als beispielhaftes Paradigma für das Ringen um politische Korrektheit im Museumswesen heraus. Inwieweit es dem Museum gelingt, überkommene Narrative zu hinterfragen, soll dieser Beitrag zeigen.

Die Intention der Museumsgründung vor dem historischen Hintergrund

Kennzeichnend für das 20. Jahrhundert, dem Zeitalter der Extreme, sind die großen Flüchtlingsströme, die vorwiegend durch die Kriege, aber auch durch den nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden globalen Systemkonflikt von Ost und West sowie der Dekolonisation ausgelöst wurden. Ende der 1930er Jahre wurden im Kontext nationalsozialistischer Vernichtungs- und Germanisierungspläne, Umsiedlungs- und Vertreibungsmaßnahmen getroffen, die verschiedene ethnische und nationale Gruppen betrafen. Die nichtjüdische, deutschsprachige Bevölkerung aus dem Baltikum, Ost- und Südosteuropa wurde von den Nationalsozialisten ab der zweiten Kriegshälfte in das Deutsche Reich transferiert, wobei ein Teil als „Umsiedler“ in den besetzten Gebieten angesiedelt wurden, um den Germanisierungsprozess voranzutreiben. Folglich intensivierten sich die Verfolgungen und Zwangsumsiedlungen der nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen. 

Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete für Deutschland den vollständigen staatlichen Zusammenbruch und die Besatzung durch die alliierten Siegermächte. Wegweisend für die Nachkriegsordnung wurde die Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August 1945. Im Beschluss der Dreimächtekonferenz wurde unter anderem die Abtretung der Gebiete östlich der Oder und Neiße sowie die planmäßige Ausweisung der Deutschen aus Polen, Tschechien und Ungarn in die neuen Besatzungszonen entschieden. Angesichts des Münchener Abkommens vom September 1938, dass die Abtretung des „Sudetenlandes“ von der Tschechoslowakei und dessen Eingliederung in das Deutsche Reich bestimmte und die Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates bedeutete, wurden die Vertreibungsmaßnahmen der deutschsprachigen Bevölkerung im Sinne einer gesamtdeutschen Kollektivschuld als eine Notwendigkeit angesehen. Die endgültige Festlegung der deutschen Staats- und Grenzgebiete sowie die Klärung der Rückkehrfrage sollten mit einer neuen deutschen Regierung in dem zunächst beabsichtigten Friedensvertrag erfolgen. Dieser ist insbesondere von den diversen Flüchtlings- und Vertriebenengruppen erwartet worden, die darauf hofften, in ihre alten Heimaten zurückkehren zu können. 

Vor dem Hintergrund der verschiedenen Politiksysteme der ost- und westeuropäischen Staaten, wurde die Zwangsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedlich beurteilt, wodurch sich in der Nachkriegszeit zwischen der westlich orientierten Bundesrepublik Deutschland und den kommunistisch geprägten Südoststaaten in der Gegenüberstellung konkurrierende Erinnerungspraxen entwickelten. Im Umgang mit der Vergangenheit lassen sich dadurch diverse narrative Bruchlinien und Kontinuitäten erkennen, insbesondere im historischen Diskus von Opfer und Täter. Die im Juli 1945 gegründete Organisation Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL), die sich als oberster Repräsentant und Sprachrohr aller ab 1945 vertriebener Deutschen aus den böhmischen Ländern inszenierte und damals wie heute personell wie programmatisch eng mit der CSU verbunden ist, forderte offen gegenüber der deutschen und der tschechischen Politik die Rückkehr der Sudetendeutschen und somit die zwangsläufige Aussiedlung der neuangesiedelten Tschechen in den Grenzregionen als „Wiedergutmachung“. Darüber hinaus setzte sie sich für das Recht auf Restitutionen, die Aufhebung der so bezeichneten „Beneš-Dekrete“, die u.a. die Enteignungen der „Sudetendeutschen“ legitimierte, sowie die Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen gegen die Verantwortlichen für die Vertreibung der Sudetendeutschen ein. Die revisionistischen Bestrebungen des Verbandes waren, trotz ihrer besonderen Rolle im neu konstituierten Bayern, kaum von politischen Erfolgen gekrönt. Sie bewirkten mitunter das Gegenteil, indem sie die Kluft zwischen Ost und West mit ihren Forderungen weiteten. Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und mit der bayerisch-tschechischen Entspannungspolitik unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) schwächten sich die radikalpolitischen Forderungen ab. 

Häufig ist das Streben nach öffentlicher Anerkennung an das Verlangen nach symbolischer, aber auch materieller Wiedergutmachung geknüpft. Das trifft teilweise auch auf das Beispiel des Sudetendeutschen Museums, beziehungsweise auf das Kollektiv der „sudetendeutschen Volksgruppe“ zu. Die Opferverbände der Vertriebenen und Geflüchteten organisierten sich im Osten und Westen aufgrund der politischen Bedingungen institutionell unterschiedlich. Als frühste Arbeit, in der die Idee einer zentralen sudetendeutschen Museumseinrichtung auftritt, gilt der Aufsatz des sudetendeutschen NSDAP-Mitglieds und Kunsthistorikers Werner Kudlich mit dem programmatischen Titel Ein Sudetendeutsches Museum. Zum Aufbau des sudetendeutschen Museumswesens. Dieser nicht allzu umfangreiche Artikel wurde in einem Sonderdruck im Jahr 1938 in der Zeitschrift „Volk an der Arbeit“ von der Gesellschaft für deutsche Volksbildung veröffentlicht. Kudlich, der u.a. als Leiter des Schlesischen Landesmuseums in Troppau in einem SS-Kommando unter Kajetan Mühlmann an Kunstrauben in Polen und Teilen der Sowjetunion beteiligt war, war bemüht, die allgemeine Notwendigkeit eines zentralen Sudetendeutschen Museums historisch zu untermauern und mittels volkskundlicher Sprachmethoden in einer sudetendeutschen Kulturleistung zu transformieren. Das „Sudetenland“ wie auch seine Bürger:innen waren allerdings keine homogene Gruppe. Sie unterschieden sich sowohl geographisch als auch kulturell und sprachlich stark voneinander.

 „Die Deutschen Mährens und Schlesiens waren in österreichischer Zeit auf Wien ausgerichtet; Böhmen und Prag bedeuteten ihnen nichts oder nicht viel. […] Ihr Geschichtsbewusstsein war österreichisch, nicht böhmisch“.[1] Erst nach der Zerschlagung der österreich-ungarischen Monarchie entwickelte sich ein „Gefühl der Gemeinsamkeit“ und sie wuchsen zur „sudetendeutschen Volksgruppe“, beziehungsweise zum „sudetendeutschen Stamm“ heran. In Folge der im 20. Jahrhundert erlebten politischen Schicksalsschläge entwickelten sich die Sudetendeutschen unter der bayerischen Integrationspolitik zur einer „Einheit, die, ohne eine sprachlich-mundartliche Einheit zu sein, innerhalb des deutschen Volkes als Volksstamm erscheint“.[2] Das erinnerungskulturelle Phänomen der Heimatsammlungen der Betroffenen der Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts steht im Einklang mit einer musealen Praxis im Zeichen einer Heimat- und Volkskundebewegung. Vertreter:innen der sich in der Forschung als eigenständige Disziplin etablierenden Volkskunde nahmen oftmals Bezug auf die Sammelarbeiten der einzelnen Vereine. Die Einrichtungen dienten als Katalysator verschiedener Vertriebenenverbände, Heimat- und Volkskundler, dessen Grundtenor ein Rettungs- und Rekonstruktionsgedanke war; am Objekt sollte entsprechend regionale Geschichte und Kultur erforscht und präsentiert werden. Durch die politische Stoßrichtung der Institute der frühen Heimatbewegungen, die durch die Idealisierung und Verherrlichung der Heimat begünstigt wurde, war fatal, da sie das Feindbilder eines Aggressors schuf, der die „deutsche Idylle“ bedrohte. Die Heimatbewegung geriet in das Spannungsfeld des Nationalsozialismus, was sich u.a. in der gegenwärtigen Ausstellung des Sudetendeutschen Museums niederschlägt.  

Die Dauerausstellung unter dem Leitmotiv Heimat

„… nichts Geringeres und nichts Größeres als das Erlebnis namens Heimat.“

Das Zitat stammt aus einer Rede, die der tschechischen Präsident Václav Havel am 24. April 1997 vor dem Deutschen Bundestag hielt. Anlass war die im Januar desselben Jahres ratifizierte Deutsch-tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftigen Entwicklungen, die als Ergebnis langwierigen Versöhnungsprozessen gesehen werden kann. Mit leuchtende Inschrift auf dunklem Grund bildet es im Eingangsbereich den Prolog des Museums und lässt die Besucher:innen bereits zu Beginn erahnen, dass das Leitmotiv der Ausstellungsnarrative das Thema Heimat sein wird. Die Indienstnahme Havels dient hierbei der Erläuterung der Ausstellungsintention: Einerseits fungiert der führende Regimekritiker der kommunistischen Tschechoslowakei und „Wegbereiter“ der deutsch-tschechischen Versöhnung als Symbolfigur einer transnationalen Annährung. Andererseits spiegelt das Zitat die Ausstellungsidee wider: Heimat wird als ein „Erlebnis“ vorgestellt. Das bedeutet, dass Heimat ein oder mehrere Ereignisse im individuellen Leben eines Menschen darstellt, die entweder von besonders positiven oder negativen, gar traumatisierenden, konnotierten Erinnerungen geprägt sind. Das Museum erscheint hierbei als Konservierungsort dieser individuellen Erfahrungen und Erlebnissen. Ziel der Ausstellung ist es laut der Konzeption, aufzuzeigen, „wie umkämpft Heimat sein kann, wie Heimat den einen zu- und den anderen abgesprochen wird, wie man Heimat verliert und wie man versucht wieder Heimat zu finden“.[3] Dabei sollte das Narrativ eines friedlichen Zusammenlebens von Deutschen und Tschechen vor dem Nationalismus weder negiert noch unkritisch widergegeben werden. Die Ausstellung sollte von einem konsequent reflektierenden und multiperspektivischen Charakter sein, der durch das Herausstellen verschiedener Wahrnehmungen dargestellt werden sollte. Die Erzählung der gegenwärtigen Dauerausstellung orientiert sich jedoch an volkskundlichen und politisch-historischen Narrativen; diese zeigen sich beispielsweise durch den starken Fokus auf die Alltagskultur oder durch die Begründung der Weltwirtschaftskrise und den vermeintlichen Versäumnissen der tschechischen Regierung als Angelpunkt der NS-ideologischen Ausrichtung der Sudetendeutschen.

Die Dauerausstellung gliedert sich insgesamt in fünf Themenbereiche, die jeweils eine eigene Etagenebene bilden. Sie beginnt mit dem obersten, dritten Stockwerk (Ebene 3). Von dort bewegen sich die Besucher:innen abwärts; jeder Ebene sind ein oder zwei Themenbereiche mit weiteren Unterthemen zugeordnet und werden mit einem besonderen Exponat (Leitobjekt) eingeleitet. Die in der Ausstellung als einzelne Leitobjekte inszenierten Exponate zeichnen sich entweder durch ihre Ästhetik, ihrer historischeren Relevanz, ihre Originalität oder durch ihre emotionale Bedeutung aus und fassen jeweils ein Motiv oder ein Thema zusammen. Die ersten beiden Ebenen sind thematisch nach Sachthemen gegliedert, während die darauffolgenden Themenbereiche nach den historischen Ereignissen und Prozessen chronologisch aufgebaut sind.  

Auf der ersten Ebene Heimat und Glaube wird der für die Ausstellung zentrale Begriff unter den topgraphischen und religiösen Blickpunkten beleuchtet, während auf der Ebene Wirtschaft und Kultur vermehrt auf die Gestaltung der Objekte und ihre Bedeutung für die Konstruktion einer kulturell begründeten Gemeinschaft geschaut wurde. Die darauffolgende Ebenen Nationalstaat und Nationalismus und Verlust und Vertreibung vertieft die Betrachtung des deutsch-tschechischen Konfliktverhältnisses und bezieht die historischen Rivalitäten auf die Umsetzung des Museums. 

Das Sudetendeutsche Museum bewertet die historischen Ereignisse nicht wertfrei, dadurch wurden die Narrative revanchistisch geprägter Vertreter:innen aus den 1950er und 1960er nach wie vor reproduziert. Als Beispiel sind die historischen Beweggründe für die Zwangsmigration der Deutschen aus Ostmitteleuropa anzuführen: In der Ausstellung werden die historischen Hintergründe für die Vertreibung vorrangig mit den Bestrebungen der Tschechoslowakei (und Polen), einen eigenen homogenen Staat zu bilden und der gesamtdeutschen Kollektivschuld erklärt. Für die tschechische Erinnerungskultur sind dagegen vor allem das Münchener Abkommen, die deutsche Besatzungszeit und die nationalsozialistischen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges konstitutiv. Abgesehen davon definiert sich die sudetendeutsche „Schicksalsgemeinschaft“ über den in der Dauerausstellung vielfach verwendeten, stark NS-ideologisch behafteten Begriff als „Volksgemeinschaft“. In „der“ tschechischen Erinnerung wird dagegen von den „Deutschen in den böhmischen Ländern“ gesprochen. Die ungefähr zeitgleich eröffnete Ausstellung zum Thema Deutsche in den böhmischen Ländern im Stadtmuseum Ústi nad Labem/Aussig zeigt eine Dichotomie der europäischen Erinnerungsgemeinschaften auf. Beide Ausstellungen geben trotz ihres europäischen und multiperspektivischen Ansatzes, der im unterschiedlichen Ausmaße umgesetzt wurde, national geprägte Sichtweisen auf das historische Geschehen wieder. Die nationalen Narrativen leben fort, aber treten in konkreten Wechselwirkungsprozessen ein. Das bedeutet, dass trotz den Bemühungen um multiperspektive Perspektiven, nationale Narrative weiterhin (museal) reproduziert werden. 


[1] OHLBAUM, Rudolf: Bayerns vierter Stamm. Die Sudetendeutschen. Herkunft, Neubeginn, Persönlichkeiten, 2. Aufl., München 1981, S. 18.

[2] Ebd.

[3] FENDL, Elisabeth: Museumskonzept (2015), S. 8.

Dorothea Hausner

Dorothea Hausner absolvierte sowohl den Kombinationsbachelor HF Geschichte, NF Philosophie als auch das Masterstudium Geschichte und Öffentlichkeit an der Universität Kassel. Seit Oktober 2023 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet der Neueren und Neuesten Geschichte tätig. Ihr Forschungsinteresse liegt im Bereich der Erinnerungskultur, Geschichtspolitik und der Mentalitätsgeschichte, insbesondere im Hinblick auf die Diskurse um Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert. Sie untersuchte das Sudetendeutsche Museum im Rahmen ihrer Arbeit zum Erwerb des Mastergrades unter der Methode der teilnehmenden Beobachtung im Jahr 2022.